Open Educational Resources (OER) revolutionieren die Art, wie Lehrkräfte Unterrichtsmaterialien erstellen, teilen und nutzen. Als frei zugängliche Bildungsmaterialien, die kostenlos genutzt, bearbeitet und weiterverbreitet werden dürfen, bieten OER-Ressourcen enormes Potenzial für die Grundschulbildung in Deutschland. Die UNESCO definiert OER als “Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz veröffentlicht werden”. Diese Materialien können von einzelnen Arbeitsblättern bis hin zu kompletten Kursen oder Büchern reichen und umfassen alle Medienformen - von Lehrplänen über Multimedia-Anwendungen bis hin zu Podcasts.
Open Educational Resources verkörpern die Philosophie der 5V-Freiheiten: Verwenden, Verwahren/Vervielfältigen, Verarbeiten, Vermischen und Verbreiten. Diese fünf Freiheiten ermöglichen es Lehrkräften, urheberrechtlich geschützte Werke kostenlos zu nutzen, herunterzuladen, zu speichern, zu bearbeiten, anzupassen, mit anderen Materialien zu kombinieren und sowohl das Original als auch eigene Überarbeitungen zu verteilen oder online zu veröffentlichen.
Der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen Bildungsmaterialien liegt darin, dass OER unter einer freien Lizenz stehen, die jeden berechtigt, das Material zu bearbeiten und weiterzuverwenden, ohne dass die Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers eingeholt werden muss. Dies wird durch sogenannte offene Lizenzen ermöglicht, die ein unbeschränktes Nutzungsrecht für alle einräumen und das Werk vergütungsfrei zur Verfügung stellen.
Die Grundidee von OER entspringt dem Konzept der Open Education: Bildung und die benötigten Lernmaterialien sollen für jeden frei verfügbar sein - unabhängig davon, in welchem Teil der Welt sich die Lernenden befinden, was ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sind oder über welche Lernvoraussetzungen sie verfügen. Diese Philosophie unterstützt die UNESCO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die eine chancengerechte, inklusive und hochwertige Bildung für alle Menschen weltweit fordert.
OER tragen zur Bildungsgerechtigkeit bei, da sie nicht nur kostenlos zugänglich sind, sondern auch frei bearbeitet, geteilt, aktualisiert und vor allem an individuelle Lernbedürfnisse und -kontexte angepasst werden können. Dies ist besonders relevant für die inklusive Bildung, da Lehrkräfte die Unterrichtsmaterialien auf besondere Unterrichts- und Förderbedarfe anpassen und individuell aufbereiten können.
MUNDO (mundo.schule) ist die zentrale Bildungsmediathek der 16 deutschen Bundesländer und wird vom FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht betrieben. Das Portal wird aus Mitteln des DigitalPakts Schule finanziert und stellt aktuell mehr als 43.000 Medien für alle Fächer, Schularten und Altersstufen kostenlos zur Verfügung.
Materialarten und Inhalte:
Download-Prozess:
Besonderheiten: Viele Materialien stehen unter OER-Lizenz und dürfen rechtssicher verwendet und abgeändert werden. Das Portal sichtet frei im Netz verfügbare digitale Medien und prüft sie anhand der Bildungsstandards für den Einsatz im Unterricht.
Das Medienportal für den MINT-Unterricht der Siemens Stiftung (medienportal.siemens-stiftung.org) bietet rund 3.500 offene Bildungsmedien (OER) für naturwissenschaftlich-technische Fächer. Alle Materialien stehen unter der CC BY-SA Lizenz und sind damit frei bearbeitbar, teilbar und verbreitbar.
Materialarten und Inhalte:
Download-Prozess:
Besonderheiten: Das Portal verfügt über einen eigenen Schülerbereich zur Recherche für Referate und einen Methodenbereich für Lehrkräfte mit praxiserprobten Unterrichtsmethoden wie Design Thinking. Die Materialien sind in Deutsch und Englisch verfügbar.
Serlo.org ist eine kostenlose, werbefreie Lernplattform des gemeinnützigen Vereins Serlo Education e.V.. Die Plattform bietet hauptsächlich Materialien zur Mathematik, aber auch zu Biologie, Nachhaltigkeit und Alphabetisierung.
Materialarten und Inhalte:
Download-Prozess:
Besonderheiten: Serlo orientiert sich am bayerischen Lehrplan, bietet aber Filterung nach Schulformen. Die Plattform wurde speziell entwickelt, um Bildungsgerechtigkeit zu fördern und Kindern aus einkommensschwachen Familien kostenlosen Zugang zu hochwertigen Lernmaterialien zu ermöglichen.
Mauswiesel (mauswiesel.bildung.hessen.de) ist eine Lernplattform des Hessischen Bildungsservers, die sich gezielt an Grundschulkinder richtet. Die kindgerechte Plattform unterstützt selbstständiges, selbstorganisiertes und eigenverantwortliches Lernen.
Materialarten und Inhalte:
Download-Prozess:
Besonderheiten: Die Plattform filtert geeignete Inhalte aus den Online-Lernarchiven des Hessischen Bildungsservers und wird als Kooperationsprojekt mit anderen Bildungsservern kontinuierlich weiterentwickelt. Lehrkräfte gelangen über den Button “Zum passenden Lernarchiv” zu weiteren Unterrichtsmaterialien.
ZUM-Unterrichten (unterrichten.zum.de) ist ein Projekt der Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V., einem Zusammenschluss von Lehrkräften für die Verbreitung freier Lehr- und Lernangebote. Die Plattform ist eine offene, nicht-kommerzielle Plattform für Unterrichtsmaterialien und -ideen.
Materialarten und Inhalte:
Download-Prozess:
Besonderheiten: ZUM bietet weitere Tools wie ZUM-Apps (Online-Speicher für H5P-Inhalte), ZUMpad (gemeinsame Textbearbeitung) und ZUM-Grundschule speziell für Grundschüler. Die Plattform lebt vom Mitmachen der Community.
Grundschulkönig (grundschulkoenig.de) bietet umfangreiche kostenlose Arbeitsblätter für Mathematik, Deutsch, Sachkunde, Englisch, Musik, Kunst und Religion. Die Materialien können als PDFs heruntergeladen oder als Königspakete gegen eine kleine Gebühr erworben werden.
Materialwiese (materialwiese.de) ist der Blog einer Grundschullehrerin, die seit 2012 kreative, innovative und motivierende Lernmaterialien kostenlos teilt. Die Plattform zeichnet sich durch liebevoll gestaltete, praxiserprobte Materialien aus.
4teachers (4teachers.de) ist eine Kommunikationsplattform von und für Lehrer mit über 356.000 kostenlosen Unterrichtsmaterialien. Die Plattform funktioniert nach einem Punkte-System für fairen Austausch und wird durch über 20 ehrenamtliche Mitarbeiter betreut.
Creative Commons (CC) ist eine gemeinnützige Organisation, die standardisierte Lizenzverträge zur Verfügung stellt, um Urhebern die Freigabe ihrer urheberrechtlich geschützten Werke zu ermöglichen. Diese Lizenzen bewegen sich zwischen dem klassischen Copyright (Nutzung nur mit Einwilligung und gegen Vergütung) und der Gemeinfreiheit (Public Domain - Nutzung ohne Einwilligung und zu jedem Zweck).
Die CC-Lizenzen funktionieren nach dem Prinzip “Some rights reserved” statt “All rights reserved”. Mit einer CC-Lizenz gibt der Urheber nicht seine Urheberrechte auf, sondern erteilt Nutzern bestimmte Rechte zur freien Verwendung unter festgelegten Bedingungen.
CC-Lizenzen setzen sich aus vier grundlegenden Lizenzelementen (Lizenzmodulen) zusammen, die miteinander kombiniert werden:
Durch Kombination der Lizenzmodule entstehen sechs Standardlizenzen:
Laut UNESCO-Definition gelten nur CC0, CC BY und CC BY-SA als echte OER-Lizenzen, da sie die vollständige Freiheit zur Bearbeitung und Weiterverbreitung gewährleisten. Alle anderen Lizenzen schränken die Nutzung erheblich ein.
Die NC-Beschränkung (nicht kommerziell) wird in der OER-Praxis als problematisch angesehen, da viele Bildungsinstitute auf Einnahmen angewiesen sind oder Nutzer Inhalte über Plattformen teilen möchten, die Werbung schalten und damit als kommerziell gelten.
Die ND-Beschränkung (keine Bearbeitung) widerspricht dem grundlegenden OER-Prinzip der Anpassbarkeit und wird daher als weniger geeignet betrachtet.
Bei der Nutzung von OER-Materialien ist eine korrekte Lizenzangabe zwingend erforderlich. Wenn diese Angaben nicht gemacht werden und somit die Nutzungsbedingungen missachtet werden, wird die Lizenz automatisch ungültig und das Recht zur freien Nutzung erlischt. Um hier Orientierung zu bieten, wurde von Sonja Borski und Jöran Muuß-Merholz die TULLU-Regel entwickelt, basierend auf den Richtlinien von Creative Commons.
T - Titel: Wie ist das Material benannt? Wenn ein Titel angegeben ist, sollte dieser genannt werden.
U - Urheber: Wer hat das Material erstellt? Der Name muss so angegeben werden, wie ihn der Urheber genannt hat, auch wenn es sich um Nutzernamen, einen Gruppen-, Firmen- oder Vereinsnamen handelt.
L - Lizenz: Unter welcher Creative Commons Lizenz ist das Material veröffentlicht worden? Die Lizenzversion muss mit allen Bestandteilen genannt werden, dazu gehört auch die Versionsnummer und gegebenenfalls die Angabe, ob es sich um eine portierte (an die Gesetzgebung eines Landes angepasste) Version handelt.
L - Link zur Lizenz: Wo ist der Lizenztext zu finden? Ein Link auf die Lizenz muss angegeben sein. Bei Printprodukten wird der Link ausgeschrieben. Sehr unüblich, aber möglich ist es, anstelle eines Links eine Kopie des Lizenztextes mit dem Werk zu verbreiten.
U - Ursprungsort: Wo ist das Material zu finden? Ein Link auf den Fundort ist notwendig, damit Nachnutzer den Ursprung nachvollziehen können.
Beispiel für eine korrekte Lizenzangabe: Foto “Briefe” von Jöran Muuß-Merholz unter der Lizenz CC BY-SA 2.0 via Flickr
Warum ist diese Lizenzangabe korrekt?
Wenn OER-Material verändert oder bearbeitet wurde (z.B. übersetzt, zugeschnitten oder farblich angepasst), muss dies zusätzlich zur TULLU-Regel angegeben werden (TULLU+V-Regel). Hier reicht es aus, die Änderung knapp zu beschreiben:
Beispiele für Veränderungsangaben:
Beispiel für eine fehlerhafte Lizenzangabe: „Foto unter Creative Commons Lizenz“
Warum ist diese Angabe fehlerhaft?
Solche unvollständigen Angaben können zu Urheberrechtsverletzungen führen und sind rechtlich problematisch.
Im schulischen Bereich müssen Lehrkräfte beachten, dass in der Regel die Schulen bzw. der Schulträger die ausschließlichen Nutzungsrechte an den in der Schule entworfenen Materialien haben. Lehrkräfte können daher selbst erstellte Materialien nicht einfach unter OER veröffentlichen, sondern müssen sicherstellen, dass dies mit dem jeweiligen Dienstherrn abgesprochen und genehmigt ist.
Entwerfen Lehrkräfte jedoch über den Lehrplan hinausgehende Materialien, können sie diese unter OER veröffentlichen. Mit dem Dienstherrn sollte Einigung darüber erzielt werden, welche Materialien unter OER publiziert werden dürfen und welche Lizenz gewählt wird.
OER-Materialien können auf verschiedene Weise in den Grundschulunterricht integriert werden:
Verschiedene Hilfsmittel erleichtern die korrekte Nutzung von OER:
OER bieten für die Schulbildung erhebliche Potenziale: Sie ermöglichen individualisierte Förderung, unterstützen inklusive Bildungsansätze und tragen zur Bildungsgerechtigkeit bei. Durch die Möglichkeit zur freien Anpassung können Lehrkräfte Materialien exakt auf die Bedürfnisse ihrer heterogenen Lerngruppen zuschneiden.
Die kollaborative Weiterentwicklung von Bildungsmaterialien durch Lehrkräfte und Lernende fördert nicht nur die Qualität der Materialien, sondern auch die professionelle Kooperation und den Wissensaustausch. Dies trägt zu einer Kultur des Teilens und der Zusammenarbeit bei, die dem gesamten Bildungssystem zugutekommt.
Platzhalter für zuständige Person/Ansprechpartner für weitere OER-Beratung steht für individuelle Beratung zur OER-Integration zur Verfügung und unterstützt bei der Entwicklung schulspezifischer OER-Strategien.
Die Zukunft der Schulbildung in Deutschland wird maßgeblich davon profitieren, wenn Lehrkräfte die Möglichkeiten von OER erkennen und nutzen - für einen kreativen, individualisierten und zeitgemäßen Unterricht, der allen Kindern optimale Lernchancen bietet.